Freiheitsentziehende Maßnahmen

Liebe Community

im Rahmen der Vorlesung „Recht“ meines Studiums wurde die Thematik der freiheitsentziehenden Maßnahmen thematisiert, was bei mir zu einigen Fragen aus der beruflichen Praxis geführt hat. Einige dieser Fragen betreffen gängige Szenarien, bei denen ich mir unsicher bin, ob es sich um freiheitsentziehende Maßnahmen handelt oder nicht. Möglicherweise spielen auch verbreitete Missverständnisse eine Rolle.

Konkret interessiere ich mich für die folgenden Fragestellungen:

  1. Sind nicht durchgängige Bettgitter als freiheitsentziehende Maßnahme einzustufen?** Falls nicht, aus welchem Grund gelten sie nicht als solche?
  2. Wie ist die rechtliche Einordnung von Händefixierungen bei kardiochirurgischen Patienten, die postoperativ aus der Sedierung erwachen? Hierbei handelt es sich in der Regel um präventive Maßnahmen wegen der Eigengefährdung, die meist länger als 30 Minuten andauern.

Ich würde mich sehr über eure fachliche Einschätzungen und Statements zu diesen Fragen freuen.

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Moin @Mausuel

Sorry, für die späte Antwort - kleine Pause musste sein.
Du triffst (insbesondre bei mir) einen Nerv mit dem Thema und wir werden das Thema im Rahmen unserer Webinare, die wir für dieses Jahr planen auch mit aufnehmen. Ich habe mich dazu schon mehrfach mit dem Thema beschäftigt - insbesondere im Krankenhaus.

Grundsätzlich ist jede Maßnahme, die die Freiheit einer Person einschränkt erstmal Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM). Die nicht-durchgezogenen Bettseitenteile können aber variabler eingesetzt werden. Denn, wenn ich ab Kopfende das Seitenteil hochstelle, kann die Person trotzdem sicher aus dem Bett aufstehen und hat durch das Teil am Kopf ein Sicherheitsgefühl oder die Möglichkeit, sich sogar abzustützen. Sofern du beide anbringst und die Person damit hinderst, aus dem Bett aufzustehen, sind sie auch nach meinem Verständnis eine FEM.

Die rechtliche Einordnung ist meiner Auffassung die gleiche wie oben. Die Basis bildet Art. 2, Abs. 2 des Grundgesetzes. Allerdings kann sie gerechtfertigt sein und dazu gibt das Gesetz auch Gründe vor:

  • Strafrecht: Notwehr und Notstand (§§ 32, 34 StGB): Also wenn Gefahr in Verzug ist und eine Notsituation besteht.
  • Betreuungsrecht (§ 1906 Abs. 4 BGB): also wenn eine erhebliche Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Betroffenen bestehen, keine weniger eingreifenden Maßnahmen ausreichen und die Maßnahme vom Betreuungsgericht genehmigt wurde.

In deinem Fall würde sicher 1906 relevant sein, allerdings sollte ein Beschluss des Gerichts vorliegen. In Notfällen kann das nachträglich gemacht werden. Eine Fixierung ohne eine folgende Konsultation eines Richters ist nahezu nie zulässig. Außerdem muss die Fixierung auch durch einen Arzt oder Ärztin angeordnet werden (die damit ja auch mal sehr lapidar umgehen) und regelmäßig kontrolliert und dokumentiert werden. Die Fixierung muss sofort beendet werden, sobald sich der Fixierungsgrund nicht weiter ergibt.

Melde dich gern bei weiteren Fragen, ich hoffe, das hilft erstmal.

LG, Christian

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Hallo Christian,

vielen Dank für die Antwort. Letztendlich ist Fixierung ein sehr heikles Thema und aus meiner Zeit aus der Praxis weiß ich, wie lapidar damit zeitweise umgegangen wird. Ich würde sagen, dass schreit nach einem One Minute Wonder!

Beste Grüße

Manuel

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Ist die Frage, ob ein OMW hier hilft, oder ob es mehr Kontext braucht, aber den Wink hab ich notiert :wink:

Mir fiel noch ein zu deiner zweiten Frage: es wäre ja möglich, Menschen im Vorfeld dazu aufzuklären, dann hätte man die Einwilligung der Betroffenen, falls der Fall der Fixierung eintreten sollte. Das Thema ist heikel, aber ehrlich gesagt nur dann, wenn man keine Alternativen hat.
Kaum jemandem ist bewusst, dass das anbringen von Bettseitenteilen nur die Fallhöhe maximiert, und zu größeren Verletzungen führt, als wenn man es einfach nicht macht. Ich verstehe aber auch, dass die Angst da ist, wenn man insbesondere nachts allein für 30 Personen die Verantwortung tragen muss.

@Mausuel

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Spannende Punkte, die auch bei mir als großer FEM Feind immer wieder aufkommen.
Zur Aufklärung im voraus habe ich folgende Perspektive:
Genau wie die Einwilligung bei Bettgittern möglich ist, ist sie das sicherlich auch bei Handfixierung (wem es gefällt :face_with_monocle:), aber auch die kann jederzeit widerrufen werden.
Wenn also Zupflegende gegen eine Fixierung arbeiten könnte man das aus meiner Perspektive schon als nicht länger einverstanden mit der Maßnahme deuten und müsste sie dementsprechend beenden. Würde also keinen Sinn machen.
Rechtsicher in DE geht Fixierung immer nur über den Amtsweg. Und das ist gut so.

P.S.: prophylaktische Handfixierung wird vor Gericht sowieso niemals zugelassen werden. Und sie erhöhen bekannterweise sogar das Risiko der ungeplanten Extubation.

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Unterschreibe ich genau so!
Wir wissen aber auch, dass es in der Praxis anders läuft und manche Mediziner:innen meinen, dass sie das einfach anordnen dürfen und alle andere folgen müssten.
Ich möchte dazu aufrufen, das eigene Gehirn zu nutzen und jede dieser Anweisungen zu hinterfragen und auf Alternativen zu prüfen, ggf. den Arzt oder die Ärztin dazu aufzuklären. In der Regel haben die nämlich keinen Bock und keine Zeit, jede Fixierung mit dem Amt zu kommunizieren.

ALso man darf das auch verweigern. Ich finde, dass Thema sollte häufiger in der Praxis besprochen werden. Schon allein deshalb, weil der Gebrauch dann mal hinterfragt wird und eine neue Perspektive entsteht.

Ich sollte mal einen Workshop zu dem Thema machen und das machte für mich alles absolut keinen Sinn (zumal ich workshops eh irgendwie meh finde) und dann habe ich einfach Stühle hingestellt und alle sollten mal ihre Erfahrungen mit FEM beschreiben. Mir ging es darum, eine Aufmerksamkeit und Sensibilisierung für das Thema zu entwickeln, weil das offenbar in der täglichen Arbeit auch mal untergeht. Und genau das zeigt sich in dieser Gruppe: Niemand hat wirklich verstanden, was mein Punkt sei.

„Wir müssen das doch machen, weil…“

Ne, eben nicht. Hinzu kommt, dass jedes Haus eigene Regeln dazu hat, wann und wie das Amt konsultiert werdenmuss, welche Dokumentationsintervalle gelten und so weiter.
Am Ende macht man sich mit der Fixierung mehr Arbeit als ohne.

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Wie schön, dass bei diesem Thema soviel Bewegung rein gekommen ist.
Das OMW gefällt mir sehr gut und ich werde es in meiner Einrichtung gerne verteilen.
@Max @Christian euer Input war sehr gut und hat mich in vielen Denkrichtungen bestätigt. Schön ist auch, dass bei all dem Fachsimpeln, die Realität nicht vergessen wurde! Daher denke ich, dass es immer wieder wichtig ist, dieses Thema auf die Agenda zunehmen. Tatsächlich, war mir als gestandene Fachpflegekraft nicht immer so bewusst was FEM in letzte Konsequenz bedeutet → Noch ein Punkt für die akademisierung!

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Danke.
Das Thema muss mehr in die Praxis und ins Management um das Thema anzugehen. Oder in die Teams der Pflegeentwicklung.

Nicht nur, dass FEM ärztlich angeordnet werden müssen und nur dann rechtlich bindend sind, bedeuten sie auch, dass eine engmaschige Beobachtung durch Pflegefachpersonal nötig ist, was einer sogenannten Sitzwache entspricht. Das beutet auch: Gurtkontrolle, Bettgitterkontrolle, Vitalzeichenkontrolle, Kontrolle der Bewusstseinslage, Anreichen von Flüssigkeit und Nahrung, oder die entsprechende Anordnung für eine teilweise Defixierung. Auch an die Durchführung von „Toilettengängen“ muss gedacht werden.
Das alles bindet Kollegen und Kolleginnen an die fixierten Personen.

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Blocku, Du bringst es auf den Punkt! Pflegefachperson und ich denke da fangen die Probleme auch an. Habe ich auf Normalstation die personelle Ressource um eine VK dafür abzustellen. Was sagt der Gesetzgeber zum Thema engmaschige Kontrollen?

Die gesetzlichen Vorgaben zur Fixierung (z. B. §1906 BGB oder Psychisch-Kranken-Gesetze der Länder) verpflichten dazu, fixierte Personen engmaschig zu kontrollieren, geben jedoch keine festen Zeitintervalle vor. Stattdessen wird gefordert, den Zustand der betroffenen Person regelmäßig zu überprüfen, um Komplikationen wie Druckstellen oder Kreislaufprobleme zu vermeiden. In der Praxis haben sich Kontrollintervalle von 15 bis 30 Minuten etabliert. Je nach Risiko oder Zustand der Person kann auch eine permanente Beobachtung notwendig sein. Die genauen Vorgaben variieren und sollten in den internen Standards der jeweiligen Einrichtung geregelt sein. Ich bin kein Jurist und ich schreibe das ohne Gewähr, finde im Gesetz allerdings keine Angaben.
Hier eine (alte) Handreichung mit guten Entscheidungs-Diagrammen: https://www.wernerschell.de/Medizin-Infos/Pflege/Fixierungsleitfaden.pdf

Ansonsten gern bei mal Sebastian Kirsch vom Werdenfelser Weg nachfragen, der hilft gern.

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